26.10.2010 00:31
Sind Pferdekutschen in Großstädten Tierquälerei?
Wiederholt in Berlin, nun auch in Rom schlagen Tierschützer Alarm. Ist es wirklich zeitgemäß, in Großstädten mit teilweise unübersichtlichen Verkehrsverhältnissen, Kutschen als Touristenattraktionen fahren zu lassen?
Im April 2008 brach hier die 17jährige Stute „Bess“ vor dem Hotel Adlon zusammen. Der Betreiber versprach daraufhin, nicht mehr mit "Bess" in der Stadt zu arbeiten. Seit Anfang 2009 gilt in der Hauptstadt die Berliner Kutschpferdeverordnung. Sie verpflichtet Halter von Droschken etwa zum Führen eines Fahrtenbuches. Die Fuhrwerke müssen mit Firmenname und Telefonnummer gekennzeichnet sein.
Schinderei für City-Rösser lautete vor Kurzem die Überschrift eines Berichts der Märkischen Allgemeinen. Das Fell glänzt rotbraun, das Kopfhaar ist akkurat gebürstet – von Weitem wirken die zwei Droschkenpferde vorm Brandenburger Tor, als entstammen sie einer Filmkulisse. Bei näherer Betrachtung sind jedoch bei beiden Stuten aufgeblähte Nüstern zu erkennen, ein deutliches Zeichen für Anspannung. Auf Nachfrage erklärt der Kutscher, dass die Tiere seit mehr als acht Stunden unterwegs sind. Die Anfahrt aus Reinickendorf sei dabei noch nicht eingerechnet. Evamarie König vom Berliner Tierschutzverein kann nur den Kopf schütteln. „Die Pferde müssen für den Umsatz ihrer Halter richtig hart schuften“, erregt sie sich. Was Touristen erheitere, sei für die meisten Rösser Schinderei. „Arbeitstage“ von bis zu 14 Stunden stünden für viele Kutschpferde auf der Tagesordnung. Manche Droschkentour gehe auf hartem Asphalt bis in den Grunewald, einige Fahrten sogar noch weiter. Mit strengeren Richtlinien für Pferdekutschen wollte Berlin im Vorjahr Verstößen beim Tierschutz einen Riegel vorschieben. „Die Leitlinien enthalten Mindestanforderungen für Kutschbetriebe“, sagte damals Berlins Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke). Die Einhaltung des neuen Regelwerks sei eine Farce, findet Evamarie König. „Die Öffentlichkeit ist zwar sensibilisiert, aber die zuständige Amtstierärztin mit den Kontrollen heillos überlastet“, kritisiert die 38-Jährige. Sie geht davon aus, dass allein im Citybereich bis zu 30 Gäule Dienst schieben. Genaue Angaben existieren nicht, da sich nach wie vor nicht alle Droschkenhalter, wie vorgeschrieben, anmelden. „Dabei sind die Richtlinien eindeutig“, sagt Yvonne Gall, Amtstierärztin beim zuständigen Veterinäramt in Berlin-Mitte. Vom An- bis zum Abschirren dürfen Pferde maximal neun Stunden unterwegs sein. Seit 2009 benötigen Fahrer laut Yvonne Gall zudem Fahrerlaubnis und Sachkundenachweis. Fuhrwerke sind zu kennzeichnen, Tiere mit speziellem Futter zu versorgen. „Pausen sind zwingend vorgeschrieben“, so die Veterinärmedizinerin. Als Rastplatz habe sich mittlerweile ein Grünstreifen am Kaufhaus Alexa etabliert. All diese Vorgaben würden jedoch wenig bringen, wenn die Einhaltung der Vorschriften niemand kontrolliert, so Gall. „In Mitte sind regelmäßige Polizeikontrollen völlig illusorisch. Die Beamten befassen sich hier im Regierungsbezirk mit anderen Themen“, erklärt die Amtstierärztin. Sie selbst rücke nur anlassbezogen aus. Für einen kontinuierlichen „Streifendienst an der Droschke“ sei ihr Amt personell nicht ausgestattet. „Kommen wir Verstößen auf die Spur, können und dürfen wir zunächst nur ’Du, Du’ sagen“, beklagt Yvonne Gall. Die neuen Leitlinien sind ihrer Auskunft nach keine Rechtsverordnung. Der Berliner Tierschutzverein kritisiert indes zu geringe Kontrollintervalle besonders in der Innenstadt. „Wir planen daher weiterhin auch eigene Kontrollen“, so Evamarie König.
In Rom gibt es ähnliche Probleme:
Touristen lieben sie, Tierschützer wollen sie nicht nur wegen des chaotischen Verkehrs in Rente schicken: Um die letzten 50 Kutschpferde in Rom ist ein heftiger Streit ausgebrochen. In Rom laufen Tierschützer wieder einmal Sturm gegen die bei Touristen so beliebten Pferdedroschken: Etwa 5000 Unterschriften lieferten vier Tierschutzverbände am Montag bei Bürgermeister Gianni Alemanno ab, mit denen sie erzwingen wollen, dass die noch etwa 50 römischen Kutschpferde pensioniert werden.
„Unseren chaotischen Verkehr kann kein Pferd ertragen“, stellt sich die linke Gemeinderätin Monica Cirinnà hinter den Vorstoß, wie italienische Medien berichteten. Nicht nur in einem heißen römischen Sommer leiden die Tiere, argumentieren die Gegner der „Botticelle“. In der Vergangenheit hatte es schon mehrfach Boykottaufrufe gegen die Kutschfahrten im Zentrum der Ewigen Stadt gegeben, auch weil die Tierschützer meinen, die Pferde würden schlecht behandelt. Die Fahrer selbst wollen nicht so rasch aufgeben und auch nicht, wie vorgeschlagen, auf elektrisch betriebene Kutschen umsteigen: „Mein Sohn wird auch noch Pferdekutscher sein“, sagte Augusto Celli der Zeitung „Corriere della Sera“. „Und ohne mich landet das Pferd doch letztlich auf dem Schlachthof.“
Diskutieren Sie mit in unserem Forum. Sollten Kutschen in der City generell verboten werden? Haben Sie schon mal eine Kutschfahrt gemacht? Wenn ja, in welcher Stadt? Wie sind Ihre Erfahrungen?
Im April 2008 brach hier die 17jährige Stute „Bess“ vor dem Hotel Adlon zusammen. Der Betreiber versprach daraufhin, nicht mehr mit "Bess" in der Stadt zu arbeiten. Seit Anfang 2009 gilt in der Hauptstadt die Berliner Kutschpferdeverordnung. Sie verpflichtet Halter von Droschken etwa zum Führen eines Fahrtenbuches. Die Fuhrwerke müssen mit Firmenname und Telefonnummer gekennzeichnet sein.
Schinderei für City-Rösser lautete vor Kurzem die Überschrift eines Berichts der Märkischen Allgemeinen. Das Fell glänzt rotbraun, das Kopfhaar ist akkurat gebürstet – von Weitem wirken die zwei Droschkenpferde vorm Brandenburger Tor, als entstammen sie einer Filmkulisse. Bei näherer Betrachtung sind jedoch bei beiden Stuten aufgeblähte Nüstern zu erkennen, ein deutliches Zeichen für Anspannung. Auf Nachfrage erklärt der Kutscher, dass die Tiere seit mehr als acht Stunden unterwegs sind. Die Anfahrt aus Reinickendorf sei dabei noch nicht eingerechnet. Evamarie König vom Berliner Tierschutzverein kann nur den Kopf schütteln. „Die Pferde müssen für den Umsatz ihrer Halter richtig hart schuften“, erregt sie sich. Was Touristen erheitere, sei für die meisten Rösser Schinderei. „Arbeitstage“ von bis zu 14 Stunden stünden für viele Kutschpferde auf der Tagesordnung. Manche Droschkentour gehe auf hartem Asphalt bis in den Grunewald, einige Fahrten sogar noch weiter. Mit strengeren Richtlinien für Pferdekutschen wollte Berlin im Vorjahr Verstößen beim Tierschutz einen Riegel vorschieben. „Die Leitlinien enthalten Mindestanforderungen für Kutschbetriebe“, sagte damals Berlins Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke). Die Einhaltung des neuen Regelwerks sei eine Farce, findet Evamarie König. „Die Öffentlichkeit ist zwar sensibilisiert, aber die zuständige Amtstierärztin mit den Kontrollen heillos überlastet“, kritisiert die 38-Jährige. Sie geht davon aus, dass allein im Citybereich bis zu 30 Gäule Dienst schieben. Genaue Angaben existieren nicht, da sich nach wie vor nicht alle Droschkenhalter, wie vorgeschrieben, anmelden. „Dabei sind die Richtlinien eindeutig“, sagt Yvonne Gall, Amtstierärztin beim zuständigen Veterinäramt in Berlin-Mitte. Vom An- bis zum Abschirren dürfen Pferde maximal neun Stunden unterwegs sein. Seit 2009 benötigen Fahrer laut Yvonne Gall zudem Fahrerlaubnis und Sachkundenachweis. Fuhrwerke sind zu kennzeichnen, Tiere mit speziellem Futter zu versorgen. „Pausen sind zwingend vorgeschrieben“, so die Veterinärmedizinerin. Als Rastplatz habe sich mittlerweile ein Grünstreifen am Kaufhaus Alexa etabliert. All diese Vorgaben würden jedoch wenig bringen, wenn die Einhaltung der Vorschriften niemand kontrolliert, so Gall. „In Mitte sind regelmäßige Polizeikontrollen völlig illusorisch. Die Beamten befassen sich hier im Regierungsbezirk mit anderen Themen“, erklärt die Amtstierärztin. Sie selbst rücke nur anlassbezogen aus. Für einen kontinuierlichen „Streifendienst an der Droschke“ sei ihr Amt personell nicht ausgestattet. „Kommen wir Verstößen auf die Spur, können und dürfen wir zunächst nur ’Du, Du’ sagen“, beklagt Yvonne Gall. Die neuen Leitlinien sind ihrer Auskunft nach keine Rechtsverordnung. Der Berliner Tierschutzverein kritisiert indes zu geringe Kontrollintervalle besonders in der Innenstadt. „Wir planen daher weiterhin auch eigene Kontrollen“, so Evamarie König.
In Rom gibt es ähnliche Probleme:
Touristen lieben sie, Tierschützer wollen sie nicht nur wegen des chaotischen Verkehrs in Rente schicken: Um die letzten 50 Kutschpferde in Rom ist ein heftiger Streit ausgebrochen. In Rom laufen Tierschützer wieder einmal Sturm gegen die bei Touristen so beliebten Pferdedroschken: Etwa 5000 Unterschriften lieferten vier Tierschutzverbände am Montag bei Bürgermeister Gianni Alemanno ab, mit denen sie erzwingen wollen, dass die noch etwa 50 römischen Kutschpferde pensioniert werden.
„Unseren chaotischen Verkehr kann kein Pferd ertragen“, stellt sich die linke Gemeinderätin Monica Cirinnà hinter den Vorstoß, wie italienische Medien berichteten. Nicht nur in einem heißen römischen Sommer leiden die Tiere, argumentieren die Gegner der „Botticelle“. In der Vergangenheit hatte es schon mehrfach Boykottaufrufe gegen die Kutschfahrten im Zentrum der Ewigen Stadt gegeben, auch weil die Tierschützer meinen, die Pferde würden schlecht behandelt. Die Fahrer selbst wollen nicht so rasch aufgeben und auch nicht, wie vorgeschlagen, auf elektrisch betriebene Kutschen umsteigen: „Mein Sohn wird auch noch Pferdekutscher sein“, sagte Augusto Celli der Zeitung „Corriere della Sera“. „Und ohne mich landet das Pferd doch letztlich auf dem Schlachthof.“
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