PM-Regionaltagung: Der feine Dialog mit dem Pferd – Das Pferdemaul als Spiegel für Wohlbefinden
Premiere in Brandenburg. Im Rahmen der PM-Regionaltagung am 23.9. auf der Reitanlage Stahnsdorf wurde erstmals das Seminar von Christoph Hess, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung und des Bereichs Persönliche Mitglieder und Karl-Friedrich von Holleuffer, Stellvertretender Sprecher der PM-Regionalversammlung Schleswig-Holstein und Fahrlehrer FN, durchgeführt.
Die Idee zur Zusammenarbeit mit dem Thema Gebisskunde in Theorie und Praxis entstand auf der Equitana 2011. Das Interesse der Reitsportler war riesengroß, aus Platzgründen konnten aber leider nur 80 Anmeldungen angenommen werden.
Nach der Begrüßung durch Angelika Binding, Sprecherin der PM-Regionalversammlung Berlin-Brandenburg, begann Karl-Friedrich von Holleuffer mit dem Thema „Zügelführungen sensibler machen!“ Pferde haben in der Familie von Holleuffer eine lange Tradition. Als Ur-Ur-Urenkel des Königlichen Stallmeisters zu Hannover Bernhard Hugo von Holleuffer (Die Bearbeitung des Reit- und Kutschpferdes zwischen den Pilaren, Hannover/Leipzig, 1896) besaß Karl-Friedrich von Holleuffer bereits fünfjährig ein eigenes Pferd. Als Erwachsener wandte er sich vor allem dem Fahrsport zu. 1996 legte er die Prüfung zum Fahrlehrer ab und betätigt sich seither aktiv in der Grundausbildung Fahren. Ein erhöhter Informationsbedarf über die FN und das Pferd im Allgemeinen motivierten Karl Friedrich von Holleufer Persönliches Mitglied zu werden. Seit 1997 ist er PM-Delegierter in Schleswig-Holstein und war von 2001 bis 2009 Sprecher der Regionalversammlung. 2006 wurde er mit FN-Plakette in Bronze, 2009 mit der Graf-Landsberg-Medaille in Silber ausgezeichnet.
Und wie kam von Holleuffer zum umfangreichen Wissen der Gebisskunde? Aus seiner Sicht gibt es eine einfache Erklärung: Wissensdurst, das Hinterfragen „warum ist das so?“, sich Funktionsweisen erklären lassen und selber ausprobieren.
Feines Reiten liegt „in der Hand des Reiters“. Und das im doppelten Sinne. Zum einen in der Auswahl des Gebisses, zum anderen ist die Reiterhand für die Zügelführung und somit die Einwirkung verantwortlich. „Gebisse sind gut und notwendig für die Harmonie zwischen Reiter und Pferd“, stellte von Holleuffer seinem Vortrag voran. "Ein Gebiss muss stets so weich sein wie möglich und darf nur so scharf sein wie nötig." Durch sichtbare Demonstration an einem selbstgebauten "Messgerät" zur Messung der Kräfte, welche durch die Reiter- und Fahrerhand einwirken, veranschaulicht er die Situation des Pferdes. Was geschieht eigentlich im Maul des aufgezäumten Pferdes am hingegebenen oder aufgenommenen Zügel? Wo wirkt was wie wohin, wenn der Reiter die Zügel aufnimmt? Wie wirkt welches Gebiss und welcher Hilfszügel bei unterschiedlichem Einsatz des Reiters? Gebisse wirken vielfältig. Auf die Zunge, die Lade, den Gaumen von innen nach oben, den Unterkiefer von hinten, auf den Nasenrücken von vorne, auf das Genick von oben und geringfügig auf die Lefzen. Die Zunge des Pferdes ist ein starker und sein feinfühligster Muskel, der die Aufgabe hat, in der Maulhöhle das Futter nach oben zu führen. Die Maulspalte ist damit schon ausgefüllt. Wenn jetzt der Fremdkörper Gebiss in das Maul gelegt wird, entsteht Druck. Allerdings sind Wirkungen nur auf die Zunge sind die weichesten Einwirkungen für das Pferd. Das Pferd versucht mit der Zunge das Gebiss vom Unterkiefer, den Lefzen und Gaumen fern zu halten. Viele Pferde, die heute durch die Zucht sehr leichtrittig sind, werden mit Gebissen leicht überfordert, so die Meinung von Karl-Friedrich von Holleuffer, der auf dem Gebiet der Gebisskunde ganz eng mit Prof. Dr. phil. nat. Dr. h.c. Holger Preuschoft vom Institut der Ruhr-Universität Bochum zusammenarbeitet. Grundsätzlich ist jedes Pferdmaul individuell gestaltet. Gerne nutzt von Holleuffer den Vergleich mit einem Schloss, man muss den richtigen Schlüssel, hier Gebiss, finden, um es aufzuschließen. Deshalb rät der Fachmann, möglichst viele verschiedene Gebisse auszuprobieren, um das ideale Gebiss herauszufinden. Nicht umsonst weißt er darauf hin, dass es früher Gebissschmiede gab, die für jedes Pferd das Gebiss individuell angefertigt haben. Ein Beruf, der durch die industrielle Fertigung von Gebissen fast ganz verschwunden ist. Für Teilnehmer, die sich ein „Patentrezept“ zur Lösung ihres eigenen reiterlichen Problems erhofft haben, war die Aussage „den Schlüssel zu suchen“ sicher ernüchternd. Ebenso die Feststellung, dass reiterliches Unvermögen nicht durch ein scharfes Gebiss ausgeglichen werden kann, denn Reitkunst endet dort, wo die Gewalt beginnt.
Von Holleuffer kritisierte zwei, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen irreführende, Werbeaussagen der Hersteller. Die sogenannten „Ausbildungsgebisse“, doppelt gebrochene Gebisse, sind nicht, wie in der Werbung angepriesen, besonders weich und schonend für das Pferd, sondern sehr scharf für das Pferd und weich nur für die Hand des Reiters. Sie wirken nicht gegen den Gaumen, sondern klemmen Zunge und Lade ein. Auch der Begriff Babykandare hört sich sehr sanft an, aber durch die kurzen Anzüge (5cm) hat sie bei einem leichten Annehmen eine stärkere Wirkung als eine normale Kandare. Gebisse mit Zungenfreiheit sind schärfer, weil sie gleichzeitig auf Zunge, Lade und Gaumen wirken. Olivenkopfgebisse schonen die Lefzen. Gebisse mit D-Ringen, oder Steggebisse verhindern ein durchziehen durch die Maulspalte, deshalb seien diese gut für die Longenarbeit zur Verbesserung der Stellung. Die 60 Minuten Redezeit waren bei diesem komplexen Thema viel zu knapp bemessen, gerne hätte man Karl-Friedrich von Holleuffer länger zugehört und zugesehen.
Nach einer kurzen Pause mit Imbiss, wurden Zusammenhänge von Christoph Hess in der Reithalle anhand unterschiedlicher Reiter- und Pferdpaare in der Praxis beobachtet und erläutert. „Wichtig für die Gebisswirkung ist die korrekte Handstellung und Zugrichtung“, so der Ausbilder. „Die Hände sollen senkrecht stehen, damit gefühlvolle Muskeln verwendet werden.. Reiten, Fahren und Longieren muss aus dem Handgelenk geschehen.“ Die Wirkung von Gebissen sei aber auch abhängig vom verwendeten Reithalftern und Nasenriemen. Die Nasenriemenlage -höhe und -breite ist für den Spanndruck auf dem Nasenrücken und Unterkiefer entscheidend. Der Sperrriemen, bei den meisten Pferden unnötig, soll die Gebisswirkung verstärken. Er soll bei unruhiger Reiterhand das Gebiss ruhiger halten.
Drei Reiter stellten sich mit ihren Pferden den Fachleuten vor. Ein in der Ausbildung noch nicht weit gefördertes Pferd, ein älterer Wallach mit Zungenproblem und ein Dressurpferd mit Kandarenzäumung. Alle Pferde wurden wenige Minuten vorgeritten, um etwaige Probleme zu erkennen, dann kommentierten Hess und von Holleuffer gemeinsam und nahmen Veränderungen in der Ausrüstung von Pferd und Reiter vor. So wurden Reithalfter und Nasenriemen anders verschnallt, bei einem Pferd wurde das Gebiss gewechselt, ein Reiter musste die Sporen abschnallen. Neben den Änderungen an der Ausrüstung, bekamen die Reiter von Christoph Hess reiterliche Ratschläge, wie z.B. der Einsatz der Gerte an der Schulter als zusätzlicher Impulsgeber. Die deutlich erkennbare positive Wirkung bei Pferden und Reitern in recht kurzer Zeit, der Zungenfehler des Wallachs trat nicht mehr auf, Pferde gingen zufriedener, war erstaunlich. Und zeigt, dass die Arbeit von Holleuffers und Hess an der richtigen Stelle ansetzt.
Fazit: eine lehrreiche Veranstaltung, auf der man viel Wissen verständlich und kurzweilig vermittelt bekommt, Premiere gelungen. Sicher in nächsten Monaten ein Highlight für PM-Regionaltagungen, die sich kein Bundesland entgehen lassen sollte.
Text + Fotos : Marietta Grade