16.08.2011 23:07

PM-Fachtagung "Erste Hilfe für Reiter und Pferd" in Berlin

Ein wichtiges Thema, das leider viel zu wenig beachtet wird, ist die Erste Hilfe bei einem Unfall. Die Vorsitzende der Persönlichen Mitglieder der FN Region Berlin-Brandenburg, Angelika Binding, konnte für eine mehrstündige Veranstaltung Prof. Dr. med. vet. Christoph J. Lischer, seit 2010 Ordentlicher Professor für Pferdechirurgie und Leiter der Klinik für Pferde der Freien Universität Berlin, sowie Wolf-Rüdiger Beißert, langjähriger Mitarbeiter beim Malteser Hilfsdienst im Rettungsdienst und in der Erste-Hilfe Ausbildung, gewinnen.  
Über 130 Teilnehmer trafen am 12.8. in der Klinik für Pferde der FU Berlin in Düppel ein. Der erste Programmpunkt, Besichtigung der Tierärztlichen Klinik, musste daher in mehreren Gruppen durchgeführt werden. Interessante Einblicke in den Arbeitsalltag der Veterinärmediziner wurden geboten, dazu verständliche Erklärungen und Antworten auf Fragen der Teilnehmer. 
Hat mein Pferd eine Kolik, muss der Tierarzt kommen? Wie versorge ich eine Wunde? Was gehört in die Stall-Apotheke? Diese und weitere Fragen wurden in dem einstündigen Vortrag Prof. Lischers beantwortet. Aber was sind die häufigsten Notfälle in einer Klinik? Eindeutig Kolik, Verletzungen, hochgradige Lahmheit.
Es gibt gewisse Umstände (Haltungswechsel, Futterumstellungen, Parasiten, Zahnprobleme), die ein erhöhtes Kolikrisiko darstellen. Dazu kommen biologische Schwachstellen bei Pferden, z.B. der lange Dünndarm, der anfällig für Verschlingungen ist oder die Unfähigkeit des Erbrechens. Im Notfall sollte der Pferdehalter, auch wenn es extrem schwer fällt, ruhig bleiben und umgehend den Tierarzt verständigen. Das kranke Pferd führen, Wälzen vermeiden, nichts zu fressen geben sowie Herzfrequenz und Fiebermessen sind Maßnahmen bis zum Eintreffen des Arztes. Bei der ärztlichen Untersuchung wird die Schwere der Kolik diagnostiziert, denn ca.7 % aller Koliken müssen chirurgisch behandelt werden. Die Überlebensrate einer solchen Operation liegt mittlerweile bei 80 - 90 %.
Bei offenen Wunden, z.B. durch Weideunfälle, stehen Pferdebesitzer oft vor der Entscheidung, was zu tun ist. Die Wunde sollte mit einem feuchtem Tuch abgedeckt werden, aber auf keinen Fall eingesprüht oder gespült werden. Bei starken Blutungen einen Stauschlauch oder Druckverband anlegen. Auch bei perforierten Hautwunden den Tierarzt rufen und keine unnötige Zeit verlieren. Bei einer unbehandelten Schnittwunde, die älter als sechs Stunden ist, können Komplikationen auftreten, die sogenannte offene oder sekundäre Wundheilung mit z.B. Narbenbildung und wildem Fleisch.
Hochgradige, akute Lahmheit kann mehrere Gründe haben, die aber alle von einem Tierarzt untersucht werden sollten: Hufabzess, Nageltritt, Hufrehe, Sehnenverletzung, Gelenksinfektionen oder Einschuss. Bei Nageltritten sollte der Nagel nicht vor Eintreffen eines Tierarztes entfernt werden, da die Lage des Nagel Rückschlüsse auf den Umfang der Verletzung zulässt. Bei Sehenverletzungen als Erste Hilfe Kühlen und Ruhigstellen. Bei Frakturen ist eine schnelle und sichere Diagnose entscheidend über Leben und Tod. Wenn möglich, sollte die Fraktur fachgerecht fixiert werden. Eine Immobilisation der Gliedmasse ist für einen geplanten Transport Grundvoraussetzung. Auch Fissuren benötigen absoluter Stallruhe, die Knochen dürfen in dieser Phase keiner Belastung ausgesetzt sein. 
Blieb zuletzt die Frage, was in eine Stallapotheke gehört: Verbandsmaterial, Schere, Eimer, Fieberthermometer, jodhaltige Desinfektionslösung, sauberer Fahrradschlauch und die Grundinformationen zu jedem Pferd mit Angabe von wichtigen Telefonnummern. Natürlich sollte eine Stallapotheke an einem schnell erreichbaren, für alle zugänglichen Platz aufbewahrt werden. 
Nach einer kleinen Pause mit Imbiss, vermittelte Wolf-Rüdiger Beißert die Grundlagen der Ersten Hilfe am Reiter. In Deutschland ist jeder gesetzlich verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, sofern ihm unter anderem die Hilfeleistung den Umständen nach zuzumuten ist, er durch die Hilfeleistung nicht andere wichtige Pflichten verletzt und sich der Helfer durch die Hilfeleistung nicht selbst in Gefahr bringen muss (vgl. Paragraph 323c Strafgesetzbuch). Wer nicht hilft, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung, die mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden kann, schuldig. Trainer im Reitsport müssen zudem aus haftungsrechtlichen Gründen auf die Helmpflicht bei Reitschülern bestehen. 
Jeder Reitbetrieb ist verpflichtet, einen Notfallkoffer zu haben. Eine Genickstütze und eine Beatmungsmaske sind hilfreiche Ergänzungen.
Bei einem Notruf sollte man die "5 W-Fragen-Regel" beachten:

  • Wo ist etwas geschehen?
  • Was ist geschehen?
  • Wie viele Personen sind betroffen?
  • Welche Art der Erkrankung/Verletzung liegt vor?
  • Warten auf Rückfragen!

Nach einem Unfall muss die Gefahrensituation beseitigt und die Gefahrenstelle abgesichert werden. Dem Verunfallten sollte Hilfeleistung signalisiert werden und Sofortmaßnahmen wie Lagerung, Versorgung einer Blutung, Herzdruckmassage oder Beatmung sollten eingeleitet werden. Die ersten fünf Minuten können entscheidend sein, da bereits nach 2-3 Minuten irreparable Hirnschäden auftreten können. Ziel aller Maßnahmen ist der Erhalt bzw. die Wiedererlangung der lebenswichtigen Körperfunktionen des Patienten, der so genannten Vitalfunktionen (Bewusstsein, Atmung und Kreislauf).
Anhand von praxisnahen Beispielen wurden von Wolf-Rüdiger Beißert die richtigen Handlungsabläufe kurzweilig und einprägsam erklärt. Zeit und Ort ließen bei dieser Veranstaltung keine praktischen Übungen mit und an Teilnehmern zu. Bei großem Interesse könnte eine Zusatzveranstaltung für den Herbst / Winter geplant mit den Persönlichen Mitgliedern geplant werden. Anfragen und Anmeldungen nimmt Angelika Binding (E-Mail: angelika.binding@met.fu-berlin.de) gerne entgegen.
Text+Fotos: Marietta Grade

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W.-R.Beißert mit Prof.Dr.C.Lischer Besichtigung der Klinik Pferd in Behandlung